DaF-Fortbildung Germanistik Südwest 2022 endet mit gemischten Gefühlen
Alles, was man wissen musswar der provokativ gewählte Titel einer ambitionierten online Fortbildung für Deutsch-als-Fremdsprache-(DaF)-Lehrkräfte in Südwestchina. Am Wochenende vom 28. bis 30. Oktober 2022 hatten die Lektoratsstandorte Chongqing und Chengdu zu einem umfangreichen Programm aus Vorträgen und Workshops zum Thema
big linguistic data im Klassenzimmereingeladen. Gekommen war aber nur eine kleine Gruppe aus einigen Fachkundigen und wenigen Neugierigen.
Nach einleitenden Worten von Dekan LI Daxue (SISU Chongqing) und Ruth Schimanowski (Leiterin der DAAD-Außenstelle Peking) am Freitagnachmittag stand für die rund 15 Teilnehmenden am Abend eine Einführung in die sogenannte Korpuslinguistik auf dem Programm.
Diese neuartige empirische Forschungsrichtung sucht im sprachlichen Rauschen von Zeitungsnachrichten, Web-Blogs, Telefongesprächen, Büchern, Fernsehbeiträgen und jeder erdenklichen Art von Sprachgebrauch nach statistisch stabilen Mustern. Dabei kommen besondere Computerprogramme und riesige digitale Textsammlungen, die namensgebenden Korpora, zum Einsatz. Als Vortragender war Rainer Perkuhn zugeschaltet, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim und Experte in Sachen Sprache und Computer. Am Samstagmorgen nahm die Germanistikprofessorin Li Yuan von der Hangzhouer Zhejiang Universität den Faden auf. Sie gab einen detaillierten Überblick über die in China nutzbaren Ressourcen und beschrieb die vielversprechende Entwicklung der chinesischen germanistischen Forschung auf diesem Gebiet. In der letzten Keynote machte Christian Krekeler, Professor für Deutsch als Fremd- und Fachsprache an der Hochschule Konstanz, am Samstagabend die Zuhörenden mit den didaktischen Einsatzmöglichkeiten von Korpora vertraut. Am Beispiel einer eigenen Unterrichtseinheit zum Thema Influencer-Marketing
zeigte er anschaulich, wie Lehrkräfte mittels Korpora relevante Lerngegenstände identifizieren und ihre Studierenden bei entdeckendem Lernen anleiten können. In der anschließenden lebhaften Diskussion mischte sich die Begeisterung für den neuartigen Ansatz aber mit unüberhörbaren Zweifeln: Viele Lehrkräfte sehen in den oft übervollen, prüfungsorientierten Studienprogrammen keinen Raum für Neues.
Am praktischen Teil der Fortbildung war das Interesse dann auch entsprechend gering. Nur eine Handvoll Neugieriger fand am Samstag und Sonntag den Weg in die zwei ergänzenden Workshops von Sabrina Stock (DAAD-Lektorin Chongqing), Yang Yaqing (SISU Chongqing), Christoph Gube (DAAD-Lektor Tianjin) und Dr. Daniel Jach (DAAD-Lektor Chengdu). In entspannter Atmosphäre hatten die Teilnehmenden ausführlich Gelegenheit, die Vorträge zu diskutieren, Erfahrungen auszutauschen und den Ansatz in abwechslungsreichen Lehr- und Lernszenarien zu erproben. Dabei zeigte sich, dass der Ansatz durchaus mit bestehenden Curricula und kommunikativen Lernzielen vereinbar ist und dabei überhaupt nicht langweilig sein muss, ganz im Gegenteil: Korpora können Lernende dabei unterstützen, über einen Banküberfall auf Zeitungsdeutsch zu berichten, jugendsprachlich über ihre chilligen Ferien zu erzählen oder einen Reiseblog für die sozialen Medien zu schreiben. Der Ansatz soll althergebrachte, bewährte Methoden aber nicht ersetzen, sondern sie ergänzen. In diesem Sinne war der dritte und letzte Workshop dem beliebten und gerade neu aufgelegten Lehrwerk Netzwerk neu gewidmet. Die neue erweiterte Auflage verfügt über ein umfangreiches digitales Ergänzungspaket, das Bastian Czura und Jennifer Swanda vom Stuttgarter Klett-Verlag den Zuhörenden näherbrachten.
Am Ende bleiben gemischte Gefühle. Einerseits stößt ein neuartiger Ansatz wie die Korpuslinguistik auf wachsendes Interesse in der chinesischen Germanistik und einige DaF-Lehrkräfte scheinen bereit und willens, ihr didaktisches Methodenrepertoire zu erweitern und sich kritisch mit der eigenen Lehrpraxis auseinanderzusetzen. Andererseits sind die institutionellen Beharrungskräfte an chinesischen Universitäten in den vergangenen Jahren nur erstarkt und vielen Lehrkräften fehlen Zeit und Raum zum Kennenlernen und Ausprobieren neuer Lehrmethoden. Die Fortbildung Germanistik Südwest 2022 hat versucht, dafür Gelegenheit zu schaffen, mit, so scheint es leider, nur mäßigem Erfolg.
Daniel Jach, Sabrina Stock